Meerwasseraquarianer pflegen regelmäßig darüber zu diskutieren, wie hoch denn wohl die Karbonathärte und der Calciumgehalt sein müssten, damit die Korallen optimal wachsen. Die Antwort der Wissenschaft lautet, um ein Skelett aufbauen zu können, muss der Aragonitsättigungspunkt erreicht werden und er darf zudem nicht zu niedrig sein. Grund genug, sich einmal mit diesem in der Aquaristik wenig bekannten Wert zu befassen.
Diagramm 1: Je nach pH-Wert liegen im Meerwasser Kohlendioxid, Hydrogencarbonat oder Carbonat in unterschiedlichen Verhältnissen vor [2]. Die Menge an Carbonat ist entscheidend für den Aragonitsättigungspunkt.
Die Messung der Aragonitsättigung – Stephan Gohmann
(Enthält Werbung aufgrund von Markennennung)
Erstmals den Aquarianern näher gebracht habe ich den Aragonitsättigungspunkt und eine Methode seiner Bestimmung in der Juli-Ausgabe der DATZ 2018 [1]. Dabei handelt es sich keineswegs um eine Entdeckung meinerseits, vielmehr findet man den sogenannten „aragonite saturation state“ oder „index“ in wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit dem Klimawandel und der damit verbundenen Versauerung der Meere befassen [3-6]. Korallen bilden ein Kalkskelett aus Aragonit, neben Calcit und Vaterit eines der drei natürlich vorkommenden Mineralien des Calciumcarbonats. Um Kalk auszufällen, muss Kohlendioxid entzogen werden, erst dann entsteht Carbonat, das sich mit dem Calcium zum schwer löslichen Calciumcarbonat verbindet. Aufgrund der durch den Klimawandel verursachten Erhöhung des Kohlendioxidgehaltes der Luft, steigt auch die Konzentraion des Kohlendioxids im Meerwasser, senkt dessen pH-Wert und erschwert so den Korallen die Skelettbildung. Ich denke, bis hierhin kann noch jeder folgen.
Nun sollen diesen Text ja nicht nur Aquarianer lesen, die eine entsprechende chemische Ausbildung haben, deshalb werde ich mich bemühen, allgemeinverständlich zu erklären, worum es hier eigentlich geht. Natürliches Meerwasser besitzt einen pH-Wert, der optimaler Weise bei sagen wir mal 8,1 bis 8,3 liegt. Ist er zu niedrig, erhöhen wir die Karbonathärte, die in Deutschland in Härtegraden angegeben wird, bis er schließlich die gewünschte Höhe erreicht hat, so das übliche Vorgehen in Aquarianerkreisen. Dazu verwenden wir Natron, chemisch Natriumhydrogencarbonat oder Natriumbicarbonat. Beides bezeichnet dieselbe chemische Verbindung mit der Formel NaHCO3. Im Wasser zerfällt die in Ionen, nämlich in ein Natriumkation und ein Hydrogencarbonatanion. Letzteres ist das, was wir neben dem Carbonat bei der Karbonathärtebestimmung erfassen. Dazu geben wir dem zu untersuchenden Wasser solange verdünnte Salzsäure zu, bis ein gleichzeitig oder vorher zudosierter Indikator durch seinen Farbumschlag anzeigt, dass alles an Carbonat und Hydrogencarbonat mit der Säure reagiert hat. Der pH-Wert der Probe sinkt und der Indikator verfärbt sich. Dieser Farbumschlag findet bei etwa pH 4,3 statt. Deswegen heißt die Analysenmethode in Fachkreisen „Säurebindungsvermögen bis pH 4,3“ und nicht wie bei uns deutschen Aquarianern „Karbonathärtebestimmung“. Amerikaner verwenden übrigens lieber den Begriff „Alkalinität“. Aber egal, wie wir das Ganze nennen, der Name „Säurebindungsvermögen“ zeigt zumindest, worum es dabei geht. Das Hydrogencarbonat ist eine Puffersubstanz. Es kann Säuren neutralisieren, indem es mit Ihnen reagiert, dabei in Kohlendioxid und Wasser zerfällt und so ein Abrutschen des pH-Wertes abfängt. Gibt man statt Säure eine Lauge hinzu, wird aus dem Hydrogencarbonat Carbonat, chemisch CO32-, gleichzeitig entsteht Wasser und wieder bleibt der pH relativ konstant.
Allerdings stimmt die Theorie, der pH werde durch die Karbonathärte bestimmt, nicht so ganz. Der pH-Wert wird durch sie stabilisiert, bestimmt wird er im Riffaquarium vorwiegend durch die vorhandenen Anteile an Kohlendioxid, Hydrogencarbonat und Carbonat. Diese drei können sich nämlich ineinander umwandeln. Mit steigendem pH-Wert wird aus Kohlendioxid zunächst Hydrogencarbonat, später Carbonat. Funktioniert natürlich auch umgekehrt. Entstehen in unserem Aquarium Säuren, beispielsweise durch die Aktivität von Bakterien oder Atemvorgänge, dann sinkt der Anteil an Carbonat während der an Hydrogencarbonat steigt. Bei weiterer Säurezufuhr verschwindet zunächst das Carbonat und Hydrogencarbonat wird zu Kohlendioxid. Bei der Karbonathärtebestimmung messen wir beide Anionen, ohne zwischen Ihnen unterscheiden zu können. Wird durch Photosynthese Kohlendioxid verbraucht, erhöhen sich die Anteile an Hydrogencarbonat und Carbonat, weil der pH ansteigt. Kohlendioxid bildet ja beim Auflösen kleine Mengen an Kohlensäure, die den pH senkt. Allerdings wandelt sich nur ein sehr geringer Teil des Kohlendioxids in Säure um. Aus Diagramm 1 können wir ersehen, wie sich die Anteile an Kohlendioxid [CO2], Hydrogencarbonat [HCO3–] und Carbonat [CO32-] abhängig vom pH-Wert ändern.
Was wir uns an dieser Stelle merken sollten ist folgendes: Die Karbonathärte stabilisiert den pH, sie bestimmt ihn aber nicht durch Ihre Höhe, sondern durch die Anteile Ihrer Komponenten Kohlendioxid, Hydrogencarbonat und Carbonat. Ein Wasser mit hoher Karbonathärte aber gleichzeitig sehr viel Kohlendioxid kann einen deutlich tieferen pH haben als eines mit niedriger KH und wenig CO2. Viele Fische, die durch ihre Atmung entsprechend große Mengen an Kohlendioxid produzieren, gleichzeitig wenig Licht und ein geringer Besatz mit Korallen, sodass durch eine schwache Photosyntheseleistung kaum Kohlendioxid verbraucht wird, führen zu tieferen pH-Werten als Aquarien mit wenig Fischen, vielen Korallen und starker Beleuchtung. Auch der Abschäumer hat einen messbaren Einfluss auf den pH-Wert. Bei hohem Lufteintrag setzt er den Kohlendioxidgehalt des Wassers mit dem der Luft ins Gleichgewicht, was zumindest in Räumen mit normaler Luft den pH anhebt. In Räumlichkeiten mit vielen Leuten, insbesondere dann, wenn dort stark geraucht wird, kann das anders ansehen, und zwar aufgrund des erhöhten Kohlendioxidgehaltes der Luft. Ja und da sind wir jetzt beim Thema „Versauerung der Meere“. Genau das eben Geschilderte geschieht dort nämlich auch, da wir Menschen den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre kontinuierlich erhöhen.
Korallen bauen ihr Kalkskelett auf, indem sie vereinfacht dargestellt, dem Wasser Calcium und Carbonat bzw. Hydrogencarbonat entnehmen, mit Hilfe der Zooxanthellen mittels CO2-Entzug den pH-Wert anheben und auf diese Weise das Calciumcarbonat als Aragonit ausfällen. Die chemische Gleichung lautete: Ca2+ + CO32- = CaCO3 . Ins Deutsche übersetzt heißt das „gelöstes Calcium plus gelöstes Carbonat ergibt ungelöstes Calciumcarbonat“. Multipliziert man die Konzentration des Calciums mit der Menge an gelöstem Carbonat und teilt das Ganze durch die Aragonitlöslichkeit unter den gegeben Bedingungen, dann erhält man eine dimensionslose Zahl, den sogenannten Aragonitsättigungsindex:
Grafik 1: Die Formel für den Aragonitsättigungspunkt. Das Produkt aus Calciumgehalt und Carbonatkonzentration wird zur Löslichkeit von Aragonit ins Verhältnis gesetzt. Allerdings werden die Werte nicht wie in der Aquaristik üblich in mg/l oder Härtegraden sondern in mol/l eingesetzt. Damit niemand erst seinen Taschenrechner bemühen muss, habe ich diese lästige Arbeit erledigt und Tabelle 1 erstellt, aus der man ohne umständliche Rechnerei die Aragonitsättigung ablesen kann.
Diese Formel sieht natürlich erst mal bedrohlich aus und vermutlich wird der Eine oder Andere überlegen, ob er überhaupt weiter lesen soll. Ich bitte um etwas Geduld, auf die Theorie folgt ein praktischer Teil und da wird es dann wieder unkomplizierter. Chemiker allerdings sehen, hier kommt das Massenwirkungsgesetz zur Anwendung. Nichtchemiker können sich die Reaktionsgleichung „Ca2+ + CO32- = CaCO3″ wie eine Waage vorstellen. Erhöht man die Mengen auf der linken Seite, so steigt die rechte nach oben. Haben wir links ausreichende Mengen an Calcium und Carbonat vorliegen, erleichtert beziehungsweise ermöglicht das der Koralle die Kalkfällung. Genau das besagt obige Formel und es stellt sich uns Aquarianern und Praktikern die Frage, können wir damit im aquaristischen Alltag etwas anfangen? Den Calciumgehalt eines Meerwassers zu bestimmen ist kein große Sache. Dafür haben wir geeignete Wassertests. Die Löslichkeit von Aragonit bei einer Salinität von 34,5 ‰ und einer Temperatur von 25°C ist ein feststehender Wert, der bereitet uns somit auch keine Probleme. Der Haken an der ganzen Geschichte ist die Konzentration an Carbonat. Karbonathärtetests, so wie sie in unserem Hobby üblich sind, bestimmen beides, Carbonat und Hydrogencarbonat. Also was tun? Auch dafür gibt es eine simple Lösung. Üblicherweise haben KH-Tests einen Indikator, der im Bereich pH 4,3 umschlägt. Schauen wir in Diagramm 1 dann erkennen wir, bei diesem pH ist fast alles Hydrogencarbonat und jegliches Carbonat in Kohlendioxid umgewandelt. Wir wollen aber nur das Carbonat bestimmen, das bedeutet, wir benötigen einen Indikator, der bereits viel früher seine Farbe ändert. Bromthymolblau schlägt bei pH 7,6 von blau nach grün um. Dieser Indikator wird in der Süßwasseraquaristik für CO2-Dauertests verwendet, ist also auch für den Nichtchemiker problemlos erhältlich.
Bild 1: Wir nehmen einen Karbonathärtetest wie den hier gezeigten der Firma Salifert. Bei dem sind Säure und Indikator getrennt und das gibt uns die Möglichkeit, einen anderen Indikator zu verwenden. Das Bromthymolblau, das wir zur Bestimmung des Carbonatgehaltes benötigen, ist beispielsweise in dem CO2 Test der Firma Sera enthalten.
Bild 2: Man nimmt wie im Test angegeben 4 ml des zu untersuchenden Meerwassers und gibt anstelle des Originalindikators drei Tropfen des CO2-Indikators der Firma Sera hinzu. Die Probenlösung verfärbt sich blau (rechte Probe). Anschließend titriert man bis zum Farbumschlag nach Grün (linkes Probenglas).
Bild 3: An der Spritzenskala liest man die Restmenge der Analysenlösung ab (grauer Pfeil). Hier sind es 0,78 ml.
Bild 4: In der Tabelle können wir jetzt für die in der Spritze vorhandene Restmenge den KH Wert ablesen. Bei 0,78 ml finden wir den Wert 3,2. Der Carbonatanteil der Karbonathärte liegt in diesem Fall bei 3,2°.
Um den Aragonitsättigungspunkt unseres Aquarienwassers herauszufinden, müssen wir jetzt lediglich den Calciumgehalt in mg/l ermitteln, wie zuvor gezeigt den Carbonatanteil der Karbonathärte bestimmen und können dann in Tabelle 1 den zugehörigen Aragonitsättigungspunkt ablesen. Liegt der unter Eins, sind die Korallen nicht mehr in der Lage, ein Kalkskelett auszubilden. Optimalerweise sollte der Wert bei mindestens 3-4 liegen.
Tabelle 1: Die Werte wurden berechnet mit einer Konstante von KSp = 8.76 × 10-7 mol²/kg² bei einer Salinität von 34,5 ‰ und einer Temperatur von 25°C [7].
Um bei unserem Beispiel zu bleiben, wir hatten ja eine Carbonatanteil von 3,2° gemessen, bei einem Calciumgehalt von 400 mg/l läge unser Aragonisättigungspunkt somit zwischen 6,11 und 7,13. Damit wäre Ω > 3-4 und folglich ausreichend hoch.
Bleibt noch die Frage zu klären, was man tun kann, wenn Ω < 3 ist. Zunächst einmal würde ich den Calciumgehalt auf 400 bis 450 mg/l bringen, sofern dieser niedriger sein sollte. Die Salinität würde ich bei 34 bis 36 ‰ halten. Nun werfen wir noch einen Blick auf den pH-Wert. Schwankt dieser im Tag-Nacht-Rythmus sehr stark, sollten wir den Carbonatanteil der Karbonathärte erhöhen. Optimal wäre ein pH, der nachts nicht unter 8,0 sinkt und sich am Tage zwischen 8,2 und 8,5 einpendelt. Dafür gibt es Fertigprodukte, wie das Aqua Medic TriComplex. Dieses enthält bereits Carbonat um den pH in höheren Bereichen abzupuffern. Ich weiß wovon ich spreche, ich habe das Zeug selbst entwickelt.
Bild 5: TriComplex der Firma Aqua Medic. Anstelle von Hydrogencarbonat, das ja üblicherweise zur Erhöhung der Karbonathärte verwendet wird, wurde hier ein Teil durch Natriumcarbonat ersetzt. Letzteres trägt dazu bei, den Aragonitsättigungspunkt zu erhöhen. Das stabilisiert den pH-Wert bei Werten über pH 8,0 und vermindert die üblichen Tag-Nacht-Schwankungen.
Wer lieber mit selbst angesetzten, sogenannten Ballinglösungen arbeitet, kann etwa ein Drittel des Hydrogencarbonats gegen Natriumcarbonat tauschen. 0,63 g Natriumcarbonat (Soda) ersetzen dann 1,0 g Natriumhydrogencarbonat (Natron). Beides verträgt sich miteinander und lässt sich somit gemeinschaftlich im selben Kanister anrühren. Natriumcarbonat ist übrigens als „Waschsoda“ in Drogerien oder den entsprechenden Abteilungen diverser Lebensmittelgeschäfte erhältlich.
Abschließend aber noch ein Hinweis, damit es nicht zu übertriebenen Erwartungen kommt. Korallen werden auch Baumeister der Riffe genannt. Der Kalk ist gewissermaßen ihr Mörtel. Ich habe jedoch gar nicht mal so selten den Eindruck, dass die Calcium- und Carbonatzugabe von vielen Aquarianern als eine Art der Ernährung angesehen wird. Das wäre dann in etwa so, als würde sich ein Maurer an seinem Mörtel satt essen. Aber genauso wenig wie besagter Maurer mit anorganischen Molekülen etwas anfangen kann, gilt dies auch für die Korallen. Tierische Lebewesen benötigen organische Nahrung. Zwar beherbergt die Koralle in ihrem Gewebe auch Pflanzen, die Zooxanthellen, die als photoautotrophe Lebewesen im Meerwasser gelöste, anorganische Verbindungen mit Hilfe von Licht in organische Substanzen umwandeln können, aber nicht alles, was diese Algen produzieren geben sie auch an die Koralle weiter [8], sodass diese zusätzlich auf Planktonfang oder die Aufnahme organischer Verbindungen aus dem Wasser angewiesen ist. Wenn Korallen unter Gewebeverlust leiden, hat dies selten etwas mit dem Aragonitsättigungspunkt, sondern überwiegend mit Nahrungsmangel zu tun.
Dennoch ist ein ausreichend hoherAragonitsättigungpunkt durchaus hilfreich. Der pH-Wert stabilisiert sich, die Kalkabscheidung der Korallen funktioniert, erkennbar an deren Wachstumsspitzen, vorausgesetzt, sie haben genügend Nahrung zum Wachsen. Außerdem müssen wir nicht immer Rätselraten, wo der Calciumgehalt und die Karbonathärte liegen sollten. Beit Ω > 3-4 ist alles gut.
Literatur:
- Stephan Gohmann (2018): Meerwasserprobleme einmal anders betrachtet. Die Aquarienzeitschrift (DATZ) 7: S. 22-32.
- pH Regulation of Seawater: The Role of Carbonate (CO 3 ) and Bicarbonate (HCO 3 )
- BIOACID Biologische Auswirkungen von Ozeanversauerung
- Aragonite Saturation State of Seawater
- Effect of CaCO 3 (aragonite) saturation state of seawater on calcification of Porites coral
- The solubility of calcite and aragonite in seawater of 35%. salinity at 25°C and atmospheric pressure
- Solubility of calcite and aragonite in seawater at atmospheric pressure and 34. 5% salinity
- Symbiodinium—Invertebrate Symbioses and the Role of Metabolomics
Bin per Zufall auf diese Seite gekommen weil ich TriComplex nutze und damit super zufrieden bin. Aber es ist klasse mal eine genaue Erklärung zu bekommen wie das alles funktioniert.
Danke für die Aufklärung.
Ich wünschte mir es würde in Schulen Seewasserbecken geben, bei dem Kinder oder Jugendliche dieses komplexe Refugium besser kennen lernen und damit für den Umweltschutz sensibilisiert werden, selbst wir Erwachsene können da einiges lernen.
Grüße Chris