Es ist noch gar nicht mal lange her, da standen uns Aquarianern neben der elektronischen pH-, Redox- und Leitfähigkeitsmessung lediglich einfache Testsätze zur Verfügung, mit deren Hilfe wir die Qualität unseres Wassers prüfen konnten. Heutzutage bieten einige Aquaristikfirmen und Labors Multielementanalysen an, die neben einer hohen Genauigkeit auch noch den Vorteil einer großen Datenfülle aufweisen. Löst das nun all unsere Probleme?
Was wir erwarten von den Daten – Stephan Gohmann
Wie heißt es so schön: „Wer viel misst, misst Mist.“ Auf der anderen Seite ist Aquaristik ohne Messwerte meiner Meinung nach langfristig kaum möglich, schon gar nicht im Meerwasserbereich. Ausnahmen bestätigen die Regel. Allerdings sind vor allem die sogenannten Spurenelemente von uns Laien ohne entsprechendes Labor in der Hinterhand nicht analysierbar. Inzwischen gibt es jedoch mehrere Anbieter von Wasseranalysen für Meerwasseraquarianer. Die Analysen werden überwiegend mittels ICP erstellt und liegen, abhängig von der Anzahl der Messparameter, preislich zwischen knapp 30,- und 100,- €. Das ist sicherlich kein Schnäppchen, wenn aber ein gut besetztes Korallenaquarium Probleme aufweist, ist der Verlust eventuell um ein Vielfaches höher. In solch einer Situation klammert man sich halt an jeden Strohhalm.
Solch ein Gewebeverlust wäre ein Grund, das Wasser analysieren zu lassen, um so eventuell die Ursache zu finden.
Das hat man früher schon so gemacht, natürlich mit den Daten, die man selber messen konnte. Nicht immer führte das zum Erfolg, was meiner Meinung nach keineswegs nur an der mangelnden Datenzahl, sondern eher an falschen Schlussfolgerungen oder an Ursachen, die gar nichts mit dem Wasser zu tun haben, lag und auch heute noch liegt (siehe http://www.stephangohmann.de/2017/03/22/probleme-in-meerwasseraquarien/).
Als Chemieingenieur kenne ich die ICP-Analytik zwar aus dem Studium, nicht aber aus eigener praktischer Erfahrung. Im Kunststoffbereich, wo ich als Analytiker tätig war, wurden andere Methoden genutzt. Aufgrund der hohen Anschaffungs- und Betriebskosten waren die ICP-Geräte ohnehin in Labors selten vertreten und galten zudem für die Meerwasseranalytik als eher ungeeignet. Umso überraschter war ich, als ich hörte, dass in letzter Zeit sogar aquaristische Firmen solche Analysengeräte anschafften, überwiegend die ICP-OES Variante, um damit Wasseranalysen für Aquarianer durchzuführen. Die Ankündigungen der diversen Anbieter klingen recht vollmundig was die Resultate und deren Genauigkeit angeht, fast so als wäre ein neues Zeitalter in der Meerwasseraquaristik angebrochen. Aber Trommeln gehört nun mal zum Geschäft, das besagt natürlich gar nichts.
ICP-OES ist die englische Abkürzung für „induktiv gekoppeltes Plasma“ und „optische Emissionsspektrometrie“. Dabei wird eine Probe in eine sehr heiße Plasmaflamme hinein zerstäubt, die enthaltenen Elemente werden angeregt um das von ihnen ausgesendete Spektrum mit einem Spektrometer als Detektor zu messen. Ferner gibt es dann noch die, bezüglich ihrer Nachweisgrenzen, empfindlichere ICP-MS, mit der ebenfalls einer der Anbieter arbeitet. Hier wird ein Massenspektrometer als Detektor verwendet. Zusätzlich kommen in unterschiedlichem Umfang weitere Analysenmethoden zum Einsatz, wie Photometer, pH-Meter, Titratoren oder Ionenchromatographen. All das ist recht aufwendig, man braucht geschultes Personal und muss wissen, was man da tut, sonst führt das zwangsläufig zu Fehlmessungen, unabhängig von der theoretisch möglichen Genauigkeit.
Die Frage, die sich mir als Chemiker deshalb stellt lautet, wie verlässlich sind solche Messergebnisse? Damit meine ich zum Einen die Genauigkeit, das heißt wie nah das jeweilige Messergebnis an der Realität liegt, was schwierig zu beurteilen ist, wenn man den richtigen Wert nicht kennt. Zum anderen geht es um die Reproduzierbarkeit, die besagt, wie dicht die Resultate beieinander liegen, wenn man dieselbe Probe mehrfach misst. Nun geht eine hohe Reproduzierbarkeit nicht zwingend mit einer ebensolchen Genauigkeit einher. Man kann nämlich falsche Messergebnisse durchaus wunderbar exakt wiederholen. Dennoch ist bei Einzelmessungen eine ausreichende Reproduzierbakeit ein wesentliches Kriterium. Hier hat man ja nicht die Möglichkeit regelmäßige Abweichungen vom realen Wert, sogar dann noch, wenn diese Toleranzen größerer Natur sind, durch Mittelwertbildung zu minimieren. Insofern ist eine ausreichende Reproduzierbakeit schon ein wesentliches Kriterium für einen entsprechende Genauigkeit. Um einen Eindruck bezüglich der Reproduzierbarkeit und damit indirekt auch der Genauigkeit dieser Messmethodik zu bekommen, wurden über einen Zoofachhändler anonymisiert drei Proben desselben Meerwassers, es stammte aus der Nordsee, an drei verschiedene Anbieter eingeschickt. Niemand, der ein wenig von Analytik versteht, würde erwarten, dass da dreimal dasselbe Resultat heraus kommt. Eine so hohe Reproduzierbarkeit ist bei drei Labors, Methoden und Gerätschaften sehr unwahrscheinlich, zumindest bei dieser Form der Analytik, die meines Wissens nicht über eine DIN standardisiert ist. Nach etwa zwei Wochen hatte ich dann ausgedruckt jeweils mehrere DIN A4 Seiten mit Messergebnissen in der Hand. Um niemanden damit „zu erschlagen“, habe ich einfach mal eine Auswahl getroffen, mit deren Hilfe ich das Ganze in dem hier möglichen Rahmen bewerten möchte. Auf den Aufwand, Proben mit definiertem Gehalt herzustellen und einzuschicken, wurde verzichtet. Das wäre aber sicherlich auch noch mal eine interessante Geschichte, herauszufinden, welches der Labors denn wohl am genauesten arbeitet. Diese Aussage lässt sich mit dem hier durchgeführten Test nicht treffen, es ging ja nur um den Vergleich der Daten, also die Abweichungen der Labore untereinander und somit die Fragestellung, wie reproduzierbar solche Messungen sind, wenn verschiedenen Labors sie durchführen. Allerdings kann man bei einer nicht optimalen Reproduzierbarkeit davon ausgehen, dass auch die Genauigkeit darunter leidet, zumindest solange es sich um Einzelproben handelt.
Die Zahlen 1, 2 und 3 kennzeichnen die drei Analysenlabors. Nummer 4 zeigt meine eigenen, mit aquaristisch üblichen Methoden ermittelten Werte. S1, S2 und S3 sind die Sollwerte, die man zusammen mit den Analysen für die Auswertung erhält, ebenfalls nach den Anbietern sortiert. Alle Angaben, ausgenommen Salinität [PSU], Karbonathärte [°dKH] und pH-Wert, in Milligramm pro Liter. Die Abweichungen beim pH-Wert sollte man außer Acht lassen, da dieser sich während des Versands stark ändern kann. Analysendaten zum Download.
Zunächst sieht man oben in der violett unterlegten Zeile die Salinität, die mit knapp 32 PSU recht niedrig ist. In diesem Zusammenhang möchte ich gleich auf den blau markierten Kaliumgehalt hinweisen. Labor 2 fand hier 368 mg/l, es fehlen 32 mg/l bis zu deren Sollwert, den sie mit 400 mg/l angaben. Es wurde empfohlen, den Gehalt nach oben zu korrigieren. Rechnet man allerdings diesen Kaliumwert auf eine höhere Salinität von 35 statt 32 PSU um, dann findet man heraus, dass die Menge an gelöstem Kalium nur wegen des geringeren Salzgehaltes zu tief liegt. Es macht dann eigentlich wenig Sinn, diesen und andere Einzelparameter separat zu korrigieren, man sollte vielmehr den Salzgehalt erhöhen und so in einem Schritt alles anpassen, was nur aus diesem Grunde zu niedrig liegt. Ob das überhaupt dramatisch ist, wage ich ohnehin anzuzweifeln.
Das grüne Feld zeigt die Werte, deren Messung auch mir mit meinen Tests für Hobbyaquarianer möglich war. Vergleiche ich die Laborresultate sowie deren Abweichungen untereinander mit den von mir ermittelten Daten, dann komme ich zum dem Schluss, dass ich mir die Laboruntersuchungen in dieser Hinsicht hätte sparen können. Meine Ergebnisse liegen nicht so weit davon entfernt, dass dies zu Problemen führen könnte, und die Labordaten sind nicht so dicht beieinander, dass sie mir wesentlich neue Erkenntnisse bieten. Besonders beim Phosphat finden sich große Unterschiede, je nachdem wer analysiert hat und mit welcher Methode (Photometrie, ICP, Berechnung).
Somit bleiben noch die Messwerte, die ich selbst nicht analysieren kann. Im Falle des Arsens schwanken die Werte zwischen nicht nachweisbar (n.n.) und 0,0059 mg/l. Beim Zink ist der Wert zweimal in Ordnung und einmal um 45511,2% zu hoch. Das hilft mir jetzt nicht so richtig weiter, würde ich mal sagen. Cadmium finden zwei Labore. Eines empfiehlt, da der Gehalt zu niedrig liegt, ihn mit einer dort erhältlichen Lösung anzuheben. Welches Lebewesen Cadmium benötigt, das heißt wieso man dieses Schwermetall noch oben korrigieren sollte, entzieht sich meiner Kenntnis und man muss nach der Sinnhaftigkeit solcher Empfehlungen fragen. Interessant war für mich auch, dass der Galliumwert in Nordseewasser derartig hoch ist, runde 2600% über dem, was in natürlichem Meerwasser üblich sein soll. Wenn so etwas dramatisch wäre, könnte man in Nordseewasser keine Koralle halten. Das ist aber definitiv im hier geprüften Wasser möglich.
Nun kann man aus solch einem einmaligen Test sicherlich nicht schließen, dass diese Art der Analytik schlecht oder gar sinnlos ist, ein paar Fragezeichen sind aber durchaus angebracht. Hinzu kommt, dass hier ausschließlich die anorganischen Elemente ermittelt werden. Sämtliche organischen Substanzen bleiben gerätebedingt außen vor, es werden maximal einige ihrer Elemente erfasst, nachdem die Verbindungen in der Plasmaflamme zerlegt wurden. Aus wissenschaftlichen und eigenen Untersuchungen ist aber ersichtlich, dass die „Organik“ sehr wohl einen Einfluss auf das Wohlbefinden von Korallen haben, positiv wie negativ. Insofern kann keineswegs von einem neuen Zeitalter in der Meerwasseranalytik die Rede sein, bestenfalls von einem kleinen Schritt in die richtige Richtung, so mein Empfinden.
Zumindest sollten wir, wenn wir unsere ICP-Ergebnisse erhalten und der ein oder andere Wert aus dem Rahmen fällt, genau überlegen, ob wir ihn nicht wenigstens noch mal anderweitig kontrollieren lassen, bevor wir irgendwelche Maßnahmen einleiten. Als Chemiker würde ich in solch einem Fall den Gehalt um eine definierte Menge erhöhen und schauen, ob das betreffende Gerät diese Erhöhung wiederfindet. Im Grunde müsste man für verlässliche Ergebnisse alle Analysen nach diesem Standardadditionsverfahren durchführen, was aber die Zahl der Proben, den Arbeitsaufwand und somit die Kosten deutlich steigern würde. Derzeit bleiben Fragen offen, völlig überzeugend ist das Ganze in meinen Augen noch nicht, sowohl hinsichtlich der Reproduzierbarkeit beziehungsweise der Genauigkeit als auch hinsichtlich der Bewertung der Resultate.
Ergänzende Literatur:
http://packedhead.net/2015/triton-lab-icp-oes-testing-of-a-certified-artificial-saltwater-standard/
http://nopr.niscair.res.in/bitstream/123456789/17/1/IJMS%2036(1)%20(2007)%2071-75.pdf